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Motorradreisen Italien

Sardinien

Der Sarde ist kein Italiener

Motorradfahren macht hungrig, vor allem, wenn es zum Frühstück ausschließlich das typische Italo-Duo gibt: Cappuccino und Cornetto. Das zumeist trockene Hörnchen hält jedoch nicht lange vor, und der Milchkaffee dient auch nur dazu, zumindest halbwegs wach aufs Bike zu steigen. Aber der italienische Genussmensch weiß, dass mittags mindestens ein Dreigang-Menü auf ihn wartet, dass man an der Strandpromenade oder im Ristorante auf der Piazza zu sich nimmt. Darin unterscheiden sich die Sarden von ihren Landsleuten nicht, auch wenn sie mit dem italienischen Festland normalerweise so wenig wie möglich zu tun haben wollen. Der Sarde ist kein Italiener. Das war in der Vergangenheit schon so, als sich Griechen, Araber, Römer und auch die Habsburger hier die Klinke in die Hand gaben und versuchten, die dickköpfigen Sarden in den Griff zu bekommen. Italienischen Essgewohnheiten scheinen der einzige kulturelle Beitrag zu sein, den die Sarden gerne akzeptiert haben.

Wie kommt man aber an ein gutes Essen, wenn an der Costa del Sud nur wenige Ortschaften liegen und zu unserer Reisezeit Ende Oktober die Urlauber längst wieder heimgekehrt sind. Dann steht nämlich an fast allen Pizzarien und Trattorien „chiuso”, geschlossen. Na ja, dann gibt es halt statt Pasta jede Menge Kurven. Die Küstenstraße zwischen Bithia und Porto Teulada ist wirklich ein Leckerbissen. Das längste gerade Stück misst höchstens 50 Meter. Die Landschaft ringsum mit ihren kleinen Buchten, Steilküsten und Sandstränden gibt’s zum Nachtisch. So nutzen wir die Zeit für Aussichtspunkte, Fotostopps und einen Abstecher zum Torre di Chia. Die romantisch anmutenden Wehrtürme sind so etwas wie sardische Wahrzeichen. Alle paar Kilometer tauchen sie entlang der Küste auf, meistens gut erhalten, obwohl sie schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Die Genueser errichteten sie als Signaltürme zum Schutz gegen nordafrikanische Sarazenen. Gleich neben dem Torre di Chia liegen direkt am Meer die Reste der phönizischen Stadt Bithia.

Hinter einer Bergkuppe auf der Panoramastraße öffnet sich kurz vor Porto Teureddu  der Blick auf die gleichnamige Bucht. Fast möchte man den Augen nicht trauen: das Panorama ist gigantisch. Schwer zu glauben, dass es sich bei der kleinen Bucht tatsächlich um einen frei zugänglichen Strand handelt. Das Goldgelb des Sandes, das Blau des Wassers, der Blick auf die vorgelagerte Felsinsel lassen ein Gefühl von Karibik aufkommen. Und es gibt ein einfaches Cafe direkt am Wasser mit einem schönen Restaurant nebenan – inklusive Chiuso-Schild. Also doch wieder nur Cappuccino und Cornetto.

Das Gennargentu ist ein Paradies für Motorradfahrer

Wenn die Costa del Sud so etwas wie die Karabik Sardiniens darstellt, dann sind die Monti del Gennargentu das Riesengebirge. Bis auf über 1800 Meter reichen die Gipfel, es gibt sogar einen Skilift. Das Gennargentu ist ein Paradies für Motorradfahrer. Hier kann man sich tagelang auf kurvenreichen Strecken kreuz und quer durch das Gebirge austoben. Es ist eine raue und einsame Gegend. Nur wenige Ortschaften klammern sich an die steilen Gebirgswände. Die Bergketten sind mal schroff, mal sanft abgerundet, dann wieder stürzen sie sich über hunderte von Meter in tiefe Täler, durch die sich reißende Bäche und Flüsse ihren Weg suchen. Karger Macchiabewuchs bedeckt die Bergrücken, die hinter Pinien- und Steineichenwäldern hervorragen. So abwechslungsreich wie die Landschaft sind die Straßen angelegt. Sie schrauben sich kehrenreich die steilen Felswände empor, um dann auch gleich wieder ins nächste Tal abzustürzen. Man kommt sich vor wie auf einer Achterbahn mit Flatrate. Es folgt Kurve auf Kurve, ständig weiter und weiter, scheinbar ohne Limit.

Im Gennargentu trifft man auf das ursprüngliche Sardinien, wo fast ausschließlich das dem Lateinischen verwandte Sardisch gesprochen wird. Die Menschen zeigen mit Stolz ihre Herkunft, sardische Trachten werden nicht nur zu Feiertagen angezogen. Im Gennargentu liegt auch die Keimzelle des sardischen Widerstands gegen die italienische Obrigkeit. Das „Banditendorf” Orgosolo hat zwar inzwischen einiges vom seinem Mythos verloren, als hier Entführungen an der Tagesordnung waren und Familienfehden meistens blutig endeten – sogar mit Bussen werden die Touristen heute herangekarrt. Aber die Aufsässigkeit ist geblieben. Berühmt sind die politischen Wandmalereien, die „Murales”, die als stiller Protest gegen den Staat das einfache Leben der Bauen und Hirten darstellen. Murales gibt es in vielen Dörfern, auch in Esterzili. Der Ort wirkt wie an Postkartenmotiv mit Häusern, die sich wie ein Adlerhorst dicht an die Feldwand drängen. Über schier endlose Kurven schraubt man sich aus dem Tal den Berg hinauf. Durch die schmalen Gassen passt kaum ein Auto, da sind wir mit unserer BMW klar im Vorteil. Die winzige Piazza wird eingerahmt von der Kirche, einem Tante-Emma-Laden und der obligatorischen Bar (mit Cappuccino und Cornetto), deren Innenausstattung aus allerlei Ferrari-Momorabilia besteht. Eine der Hauswände ziert ein riesiges Gemälde einer Bahnhofsszene mit Dampflok.
 

Auch in Aritzo lernen wir die Vorteile eines Motorrades kennen

Es ist die Zeit der Kastanienernte, da wird hier ein riesiges Volksfest gefeiert. Schon auf den Zufahrtstraßen herrscht dichter Verkehr. Weit vor dem Ort sind die Straßenränder zugeparkt. Wir schlängeln uns weiter durch, eigentlich führt uns unsere Tour mitten durch den Ort. Am Ortseingang aber scheint endgültig Schluss, die Carabinieri haben alles abgesperrt. Doch überraschend winkt uns der Polizist durch, wir sollen weiter fahren. So finden wir uns plötzlich mitten zwischen Verkaufsständen aller Art und Massen von Fußgängern wieder. Niemand scheint das zu stören. Wir schleichen im Schritttempo durchs Zentrum. Überall riecht es nach gerösteten Maronen, Trachtenkapellen spielen Volksmusik und verkleidete Sarden in Schafsfellen und mit geschwärzten Gesichtern ziehen riesige Glocken läutend an uns vorbei. Wir kommen uns vor wie mitten in alemannischen Fassnacht.

Im Gegensatz zur snobistischen Coste Smeralda ist die Costa Verde im Südwesten der Insel touristisch noch wenig entschlossen. Das liegt wohl auch daran, dass die Zufahrtsstraße nicht besonders gut ausgebaut, sehr eng und extrem kurvenreich ist – also ideal für einen Motorradausflug. Außerdem gibt es auf den meisten Straßenkarten keine Verbindung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil der „grünen Küste”. Ein einheimischer Biker erzählt uns aber von einer Möglichkeit, und so starten wir auch gleich los ins Abenteuer. Der asphaltierte Teil der Strecke ist ein Fest für die Augen, landeinwärts türmen sich bis zu 50 Meter hohe Sanddünen auf, auf der anderen Seite der Straße erstrahlt das glasklare Wasser in allerlei Türkistönen. Leider haben wir die Badesachen im Hotel gelassen, obwohl selbst im Herbst noch die Wassertemperatur über 20 Grad beträgt. Kurz vor dem Flüsschen Piscinas geht der Asphalt in eine holprige Sandpiste über. Das ist die Verbindung, nicht beschildert und häufig abzweigend. Aber irgendwie finden wir den rechten Weg, durchqueren ein paar Mal den Fluss und stehen plötzlich vor einem kilometerlangen, strahlend weißen Sandstrand mit einem kleinen Kiosk. Der hat tatsächlich geöffnet. Ob es hier auch etwas zu Essen gäbe, fragen wir den Verkäufer. Aber ja doch, ein Cornetto, und einen Cappucino könne er uns auch machen.  
Norbert Meiszies