



Motorradreisen Neuseeland
Ein Natur-Schauspiel
Höhepunkte Neuseelands: Die Nordinsel
Die Blockbuster „Herr der Ringe” und „Hobbits” wurden größtenteils auf der Nordinsel gedreht
Auch wer noch nie in Neuseeland war, kennt das Land zumindest aus dem Kino. Die Blockbuster „Herr der Ringe” und „Hobbits” wurden größtenteils auf der Nordinsel gedreht, wo die Vulkane des Tongariro Nationalparks die Film-Kulisse bilden. Doch unübertroffen ist die Realität dieser einzigartigen Natur.
Mein Herz rutscht mir immer noch in die Hose, wenn ich daran denke, dass ich mein Leben wirklich einem Gummiseil anvertraut und mich von der Kawarau Gorge Suspension Bridge in den 43 Meter tiefer dahinfließenden Kawarau River gestürzt habe. Ich muss verrückt gewesen sein, als ich mich nahe der neuseeländischen Adrenalin-Hauptstadt Queenstown auf diese „Sportart” namens Bungee Jumping eingelassen hatte. Aber ich habe überlebt und konnte meine Tour durch das „Land der großen weißen Wolke” – wie die Ureinwohner, die Maori, ihre Heimat bezeichnen – ohne Blessuren fortsetzten: von der Süd- auf die Nordinsel Neuseelands.
Jetzt, rund eine Woche später sitze ich in Shorts und mit stolzgeschwellter Brust unter meinem Bungee-T-Shirt auf der Terrasse des „The Gables”, schau' mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne und lausche der Brandung, die gegen das mit bunten Kieselsteinen bedeckte Ufer schlägt. Vor mir breitet sich die Bucht von Russel aus, tiefblaues Wasser lädt zum ungetrübten Badespaß, und vor Anker dümpelnde Segeljachten wecken Fernweh und Abenteuerlust. Ich warte geradezu darauf, dass mich plötzlich jemand kneift und aus diesem adrenalinfreien Traum reißt. Doch nichts passiert, es muss also Realität sein – ich bin im Himmel auf Erden.
Dabei hatte der erste Tag auf der Nordinsel eher ernüchternd begonnen. Der Wind pfeift in Orkanstärke über mich und meine Sozia hinweg, als wir von der Fähre von Picton auf der Südinsel nach Wellington im Norden herunterfahren. Dazu schlägt ständig feiner Nieselregen wie aus einer Spraydose gegen das Visier, dass ich mir einen Scheibenwischer wünsche, um wenigstens ein bisschen von Neuseelands Hauptstadt zu erkennen. Schließlich gilt Wellington als besonders hip. Es heißt, pro Kopf gäbe es hier mehr Bars und Restaurants als in New York. Ein Glühwein zum Aufwärmen käme wirklich gut. „Fahre von der Innenstadt zum Gipfel des Mount Victoria und genieße den atemberaubenden Panoramablick über Wellington”, hatte ich im Reiseführer gelesen. Nix Panorama, nur Nebel, Regen, Wind.
Ich fahre mich regelrecht in einen Rausch
Die steife Brise bringt auch Vorteile mit sich. In unserem Fall vertreibt sie auf einmal die dichte Wolkendecke und gibt sogar ein paar blaue Löcher für die Sonne frei. Gerade rechtzeitig, um die Straße durch den Kaitoke National Park abzutrocknen. Was folgt ist nämlich eine atemberaubende Karussellfahrt über die Rimutaka Range, für die man nicht einmal Eintritt zahlen muss. Breit ausgebaut, mit herrlich griffigem Asphalt präpariert stören auf der Strecke nicht einmal die sich im Schneckentempo den Pass hoch- oder runter-quälenden Holz-Laster. Eigentlich sollte man die waldreiche Landschaft, in der große Teile der Herr-der Ringe-Trilogie gedreht wurden, mit Muße genießen, aber offensichtlich habe ich noch nicht genug Adrenalin abgebaut. Ich fahre mich regelrecht in einen Rausch. Auf Elfen, Gandalf & Co. stoße ich eh noch später.
Wie schon auf der Südinsel, so wechselt auch im Norden die Landschaft fast stündlich ihr Gesicht. Haben wir gerade noch die 1.000 Höhenmeter am Rimutaka Hill genossen, cruisen wir kurz darauf gemütlich über die sanften Hügel des Weinanbaugebietes von Martinborough, wo angeblich Neuseelands beste Pinot Noir wachsen soll. Auf die Probe aufs Exempel im bezaubernden Cafè Medici verzichten wir zwar und lassen uns lieber den leckeren Apfelkuchen sowie einen ausgezeichneten Cappuccino schmecken. Die Neuseeländer sind geradezu kaffeeverrückt, selbst im hinterwäldlerischsten Kaff gibt es einen Laden mit italienischer Kaffeemaschine. Im gegenüberliegenden Weinladen decken wir uns trotzdem noch für die abendliche Verkostung auf der Hotel-Terrasse ein.
Einen entscheidenden Unterschied zwischen Süd- und Nordinsel gibt es dennoch: Im Süden durchzieht ein junges, den europäischen Alpen ähnliches Faltengebirge die Insel, die Neuseeländischen Alpen. Im Norden sind es dagegen die Vulkane, die schon aus großer Entfernung den Blick auf sich ziehen. Auf dem Weg zum Tongariro Nationalparkt erkennen wir schon bald am Horizonz die Spitzen des Ruapehu und wenig später auch die Kegel des Ngauruhoe und Mount Tongariro. So erloschen wie sie aus der Ferne aussehen sind die bis zu 2.700 Meter hohen Bergkegel keineswegs. Die drei Vulkane sind noch recht aktiv, erst im August 2012 brach der Tongariro zum letzten Mal aus. Dampfsäulen aus den Te Maari-Kratern und die heißen Quellen von Ketetahi unterstreichen, dass die Urkräfte, die diesen Teil der Erde geformt haben, von Ruhestand nichts halten. Es bedarf nur einer kleinen Rempelei zwischen der Indisch-Australischen Platte und der Pazifischen Platte 75 Kilometer unter der Erdoberfläche, damit einer der Vulkane am sogenannten „Ring of Fire” zum Leben erwacht.
Aber das hält niemanden davon ab, seine Hänge auf Skiern hinunterzufahren oder den Krater zu besteigen – ein Kontrollsystem sorgt dafür, dass rechtzeitig vor einer Eruption gewarnt wird. Auch wir wollen die Ohakune Mountain Road befahren, eine Stichstraße hinauf ins Turoa Skigebiet. Die 17 Kilometer lange, 1.000 Höhenmeter überwindende Sackgasse ist eine der malerischsten Strecken Neuseelands. Sie führt durch Tieflandwälder, alpinen Buchenwald, dann durch windgepeitschte alpine Buschlandschaften und schließlich erstarrte Lavaströme. Ausnahmsweise lassen wir es auf dem mit Serpentinen gespickten, kurvenreichen Weg ruhig angehen und genießen die fantastischen Ausblicke. Sogar den Luftlinie etwa 100 Kilometer entfernten Kegel-Vulkan Taranaki (früher Mount Egmont genannt) erkennen wir an der Westküste, der wie ein Zuckerhut einsam aus der Ebene herausragt.
Rostrot, schokoladenbraun, basaltgrau und pechschwarz sind die Farben der vulkanischen Hochebene. Ein Land wie geschaffen für Peter Jackson, der um die Jahrtausendwende einen möglichst trostlosen Schauplatz für den Showdown seiner „Der Herr der Ringe„ Saga suchte. Tricktechnisch aufgemotzt wurde der Ruapeu zum düsteren Reich Mordor und der Ngauruhoe zum „Schicksalsberg”, in den der Hobbit Frodo den Ring wirft, um Mittelerde vor der Versklavung durch den dunklen Herrscher Sauron zu bewahren.
Die Erdschicht ist an manchen Stellen bloß zentimeterdick
Wie fragil die Erdoberfläche ist, erleben wir auf dem Weg nach Rotorua. Vorbei am Lake Taupo, einem erloschenen Vulkan und gleichzeitig Neuseelands größter See, passieren wir zahlreiche Thermalparks mit heißen Quellen, Geysiren, Fumarolen und Schlammteichen, aus denen Gase vulkanischen Ursprungs aufsteigen und an der Oberfläche als Schlammblase zerplatzen. Rund um Rotorua brodelt, qualmt und zischt es an allen Ecken und Enden. Die Erdschicht ist an manchen Stellen bloß zentimeterdick. Der örtliche Golfplatz ist gespickt mit Hindernissen der besonderen Art: heißen Quellen, in denen selbst der härteste Golfball weichgekocht wird. Und es stinkt überall nach Schwefel.
Beim Abstellen unserer GS im Maori-Dorf Ohinemutu mache ist erst einmal die Hitzeprobe, ob der Untergrund nicht das Gummi der Reifen wegschmilzt. Beim Friedhof des Dorfs fällt auf, dass die Gräber alle überirdisch liegen und rund um das Gemeindehaus, das kunstvoll aus Holz geschnitzte Te Papaiouru Marae dampft es unentwegt aus allen Erdritzen. Ein paar Meter weiter am Schulgebäude lässt uns polynesischer Gesang aufhorchen. Die Rotorua Kapa Haka Group, eine Tranz-Gruppe mit etwa 50 Teilnehmern übt gerade für einen Auftritt. Alle noch im Freizeitlook, nur die Damen mit den typischen Baströckchen bekleidet und artistisch die Poi balancierend, weiße, an einer Schnur hängende Bälle. Wir haben echt Glück, die Gruppe aus Rotorua ist seit Jahren neuseeländischer Champion. In der maorischen Sprache steht das Wort „kapa“ für Reihe, und „haka“ ist ein allgemeiner Begriff für „Tanz“. Bekannt ist bei uns vor allem der Haka der „All Blacks”, der Nationalmannschaft Neuseelands im Volkssport Rugby, bei dem die Spieler versuchen mit ihren Grimassen den Gegner einzuschüchtern. Bei den Tänzern aus Rotorua geht es eher lustig zu, sogar das „whetero”, das bei den Maori-Männern typische Herausstrecken der Zunge, wirkt hier gar nicht mehr bedrohlich.
Krasser kann der Gegensatz eigentlich nicht sein: von den heißen Quellen Rotoruas durchstreifen wir zunächst die sanfte Hügellandschaft entlang der Kaumai Mamaku Bergkette mit goldbraun leuchtenden Schaftweiden, statten dem originalen Filmset aus der Hobbits-Trilogie einen Besuch ab, um in Waihi schließlich vor einem riesigen Erdloch zu stehen, das kein Vulkan geschaffen hat, sondern der Mensch mit Hacke und Schaufel. Die Martha Mine ist Neuseelands größte Gold- und Silber-Mine am Ende der Coromandel-Halbinsel. Seit 1852 wird hier bis heute das Edelmetall abgebaut. Kein Wunder, dass die Anlage mit einem hohen Stacheldrahtzaun gesichert ist.
Ein nahezu grenzenloses Fahrvergnügen erwartet uns danach bei der Umrundung der Coromandel-Halbinsel. Die komplette Strecke verspricht fast 200 Kilometer atemberaubende Kurvenfahrt, meistens am Meer entlang oder mitten durch dichten Regenwald hindurch. Auf der schmalen Straße lassen wir uns reichlich Zeit, unterbrechen die Achterbahnfahrt und leihen uns an der Hot Water Beach eine Schaufel aus, um am Sandstrand einen eigenen Whirlpool auszuheben. Eine Thermalquelle unter dem zwei Kilometer langen Strandabschnitt sorgt die kostenlose Entspannungseinheit, bevor es wieder auf die „Nordschleife” Neuseelands geht.
Doch der nächste Fotostopp lässt nicht lange auf sich warten. Zwischen den Ortschaften Coromandel-Town und Thames können wir uns gar nicht sattsehen an der Farbenpracht um uns herum. Einen großen Anteil daran hat der bis zu 20 Meter hoch und 30 Meter breit wachsende Pohutukawa, der zwischen Dezember und Februar vor allem auf der Coromandel-Halbinsel in voller Blüte steht. Wegen der kräftigen roten Färbung um die Weihnachtszeit nennen Ihn die Einheimischen ihren Christmas Tree. Auch in Russel säumen zahlreiche Pohutukawas die Uferpromenade.
Doch noch verschwende ich keine Gedanken an zukünftige Weihnachtsgeschenke. Ein schöneres Geschenk, als hier am Wasser sitzen zu dürfen, kann man sich eigentlich nicht machen.