


Motorradreisen USA
Der Südwesten
Wilder Westen inklusive
Manchen Biker überkommt das kalte Grauen, sobald er an organisierte Motorrad-Gruppenreisen denkt. Brav wie ein Schaf zuckelt da einer hinter dem anderen her, vorneweg als Leithammel der Reiseleiter, der das Reisetempo vorgibt. Aber: Ist das wirklich so? Was erwartet den Tourer, der bei einem Veranstalter eine Motorrad-Reise gebucht hat? Ich machte die Probe aufs Exempel, begleitete eine Motorrad-USA Tour des rm-reiseteam - Wilder Westen inklusive …
Insgesamt sind wir 14 Personen. Solisten, aber auch zahlreiche Pärchen haben die klassische USA-Südwest-Rundreise mit Grand Canyon, Monument Valley, Yosemite Park, San Francisco und Highway No. 1 gebucht. Handwerker, Angestellte, Selbständige, Ärzte – eine bunt gemischte Truppe. Rudi zum Beispiel ist Motorradhändler („Schreib' bloß nicht, was für’n Modell ich hier fahre“) und nimmt mitsamt seiner Herzensdame zum erstenmal an solch einer Gruppentour teil. Er ist heilfroh, dass er locker im Feld mitrollen kann und „nicht ständig überlegen und entscheiden muss, wo es lang geht“. Die beiden haben einen ganz besonderen Grund, warum sie in die USA gejettet sind – in Las Vegas wollen sie sich das Jawort geben. Heiraten und Hochzeitsreise in einem Aufwasch erledigt. Die anderen haben die Chance genutzt, auf unkomplizierte Art in einem Übersee-Land einen Motorrad-Urlaub zu verleben.
Daheim haben sie alle eine eigene Maschine
Daheim haben sie alle eine eigene Maschine in der Garage. Jörg, Nuklearmediziner, fährt privat eine „graue“ Suzuki und steuert nun mit seiner Miet-Goldwing jeden Händler an, um nach günstigen Ersatzteilen zu fahnden. Immer wieder fragen wir uns abends am Zielort, ob er und seine Frau Gudrun es wohl schaffen, noch vor Einbruch der Dunkelheit im Hotel zu landen – meistens laufen sie als letztes Paar ein und haben dann einige Kilometer mehr auf dem Tacho als alle anderen. Und das, obwohl man sich im Prinzip nicht verfahren kann. Die Tourenbeschreibung ist ausführlich, und Reindert, unserer Reiseleiter, der im Van mit unserem Gepäck unterwegs ist, verteilt am Abend stets den aktuellen Plan für den nächsten Tag. Ein paar zusätzliche Tipps, die im ausführlichen Tourbook nicht drin stehen, gibt es auch noch.
Schnell haben sich ein paar Dreier- oder Vierergrüppchen gebildet, die sich je nach Lust und Laune täglich neu formieren. So lernen sich die Leute schnell kennen, entdecken Gemeinsamkeiten. Um Marlies auf der Shadow schart sich das Harley-Jungvolk und die beiden Polizisten Reinhold und Günther. Vor der Gruppe ist kaum ein Harley-Laden sicher, schließlich sind T-Shirts und Ersatzteile hier deutlich preiswerter als in der deutschen Heimat. Nur, wie verstaut man eine komplette Auspuffanlage?
Zu Uli gesellt sich die Honda-Goldwing-Fraktion, die auch zuhause ihr Herz an den Großtourer verloren hat. Warum Motorrad-Individualisten den freiwilligen Gruppenzwang schätzen? Das wird spätestens dann klar, wenn sich die Gladiatoren beim abendlichen Einzug ins reservierte Mo- oder Hotel sogleich wie ein Mann auf Imperator Reinderts Kühlkiste stürzen, um mit eiskaltem „Budweiser” oder „Coors” den Staub und die Hitze der Mojave-Wüste runterzuspülen. So was verbindet, schweißt Solisten zur Großfamilie zusammen, die auch das Abendprogramm gemeinsam gestaltet. Jeder trägt sein Teil dazu bei: Raimund ist dank guter Beziehungen in Las Vegas an Karten für eine begehrte Live-Show gekommen. Uli gibt in Mammoth Lake zu seinem 55. Geburtstag einen aus. Jörg hat seine Goldwing gewienert, weil sie als Hochzeitskutsche dienen soll. Rita und Rudi laden nach dem Besuch der Wedding Chapel zum Hamburger-Essen in die Country-Hall. Harald, ein ehemaliger Seebär, unterhält die Truppe die gesamte Tour über mit Johnny-Cash-Songs.
Niemand hat’s eilig
Tagsüber fährt man in seinem Mini-Grüppchen, macht den einen oder anderen Abstecher zusätzlich. Zwangsläufig – weil alle dem Tourbook folgen – treffen sich die Pulks aber im nächsten Coffee-Shop zum Pausentee wieder. Niemand hat’s eilig. Nur Nachrichten wie die vom original Franziskaner Weißbier, das es in ’ner Kneipe kurz hinter dem Death-Valley-Nordausgang geben soll, verbreiten sich rasend schnell. Unversehens verlängert sich die kurze Zigarettenpause zur ausgelassenen Party. Jede Menge Erinnerungsfotos werden geschossen. Obwohl solch eine Reise per se länger im Gedächtnis bleibt als ein 08/15-Strandurlaub auf Malle.
Eines habe ich während der Südwest-Tour gelernt: In der Gruppe Motorrad zu fahren macht einen Heidenspaß. Kaum anderswo werden so schnell Freundschaften geschlossen. Wir sehen uns wieder. Okay?
Norbert Meiszies